FRONT ROW
von Antonio Lilliu
Das "Physique du rôle" des Geschäftsanzugs.
Über den Geschäftsanzug für Männer der Modejournalismus und sein Surrogat im Internet-Zeitalter, die Mode-Blogs, zappeln immer noch zwischen einer streng normativen Haltung und einer Art Laissez-faire. Dies ist kaum hilfreich, um die Bedenken all jener zu lösen, die sich nicht leisten können oder wollen, in der Arbeits-Arena als schlecht angezogen behandelt zu werden.
Um die Risiken einer solchen Demütigung zu vermeiden, können Männer glücklicherweise mit der tatkräftigen Unterstützung unzähliger Stilberater rechnen: auf der einen Seite gibt es diejenige Fashion Influencer die durch das Ausgraben von Gebote der Maßschneiderei-Kunst Proselyten für die oberklassische Eleganz suchen, die leider die Bedürfnisse nach Individualität und Freiheit des modernen Menschen übersieht. Meistens sind Landschneider und Sehnsüchtige nach einer goldenen Vergangenheit, die sich mit Begeisterung an diese fundamentalistische Bewegung anschließen. Die Aufrechterhaltung der Verehrung von Stil-Ikonen a lá Cary Grant und Roger Moore bestimmt ihre Daseinsberechtigung. Am anderen Extrem finden wir eine ganze Reihe von Enfant terrible der Mode und Experimentierfreudige, die versuchen, in Vergessenheit geratenen HAKA-Marken auferstehen zu lassen, oder den Zusammenbruch von Glanz-Modemagazine zu stoppen.
Trotz aller Versuche den Business Dress-Code bequemer und individualistischer zu gestalten, ist der moderne Geschäftsanzug auf psychologischer Ebene das Äquivalent der Panzeranzüge der alten Ritter: mit diesen hat er viele Merkmale gemeinsam, und vor allem die Grundfunktion von "Kampfanzug". Obwohl der eigentliche Krieg sich vom Schlachtfeld in die Geschäftswelt verlegen hat, nicht deswegen ist der Kampf weniger wild geworden: wie der Panzeranzug erfüllt der Business-Anzug eine Schutzfunktion gegen “lebensbedrohlichen“ Angriffe; indem er den Mann stattlich erscheinen lässt, kann imponieren; er dient immerhin der Anordnung zu einer Berufsgruppe, die teilweise einer professionellen Armee angleicht. Idealerweise unterstreicht der Geschäftsanzug noch Rang und sozialen Status, wie bereits die Devise der römischen Ritter, die im Rahmen des gleichnamigen Vermögens-Klasse rekrutiert wurden.
Die Vision, die den Business-Stil in die Grenzen der Glen Check-, Fischgrat-, Nadelstreifenanzugsmuster erzwingt sowie denen von Doppel- oder Einreiher Jacken mit zwei oder drei Knöpfen höchstens, hat nichts mit dem auffälligen Luxus der mittelalterlichen und Renaissance-Panzeranzüge zu tun: um dies zu realisieren, braucht man nur ein Besuch auf der Ritter-Halle der Burg der Sforzas in Mailand, oder die Porträts des Kaisers Karl V oder des französischen Königs Franz I auf dem Schlachtfeld zu bewundern. Das Stil-Gebot über männlichen Understatement begann erst mit der Ausbreitung des Grundsatzes der Gleichheit während der französischen Revolution, und später mit der Apotheose der puritanischen Arbeitsethik während der industriellen Revolution.
Die Geschichte der Männermode in dem zwanzigsten Jahrhundert von Saville Raw bis zum Armani und Vivien Westwood verzeichnet die Zurückeroberung der Werte der Phantasie, Vielseitigkeit und Eitelkeit des Mannes, die ihn die Gesellschaft seit Anfang des neunzehnten Jahrhunderts verweigert hatte. Und warum nicht? Wenn eine gesunde Eitelkeit Julius Caesar, Zar Peter der Große, Napoleon, Thomas Jefferson, Albrecht Dürer und Baudelaire nicht verhinderte, großen Politiker, Künstler und Schriftsteller zu werden, warum sollte sie anderen verweigert werden?
Da der heutige Mann den Mut seiner Eitelkeit sowohl in Bezug auf Kleider als auch auf Körperkult wiedergewonnen hat, soll ihm der Anzug als Ausdruck seiner Persönlichkeit, Kompetenz, soziale und emotionale Intelligenz zu dem “Business-Physique du rôle“ verhelfen, das das Geschäftsleben erforderlich macht. In dieser Hinsicht sollten ein paar Grundregeln beachtet werden:
Kleider sind Architektur: "Mode ist Architektur, es geht immer um Proportionen", sagte Coco Chanel, und das gilt sowohl für weibliche als auch für Herren Mode. Da die Jacke die größte Herausforderung für die Schneiderkunst darstellt, wird die Aufmerksamkeit auf den Schnitt nie genug sein. Eine schlecht geschnittene Jacke lässt den Mann inkompetent und lächerlich aussehen. Beim Kauf einer Jacke muss man daher auf 3 "Schlüsselelemente der Passform" achten: Schulter, Hüfte und Hals.
In der Architektursprache stellen die Schultern der Jacke nicht das Dach, sondern die Fundamente dar. Sie müssen die Linie des Körpers folgen und eventuell den Winkel zwischen Hals und Schultern verbessern: je mehr die Schultern der Jacke einen rechten Winkel mit dem Hals bilden, desto stärker den Frankenstein-Effekt. Bei Over- und Under-Size Proportionen an der Taille, Hals- und Armausschnitt werden Erinnerungen an Clown-Kleidung wach, und diese könnte auf jeden Fall von Nachteil im Geschäft sein, falls Sie nicht in der Werbe- oder Designer-Branche tätig sind.
Das Trumpf in der Hand: Ein Schlüsseldesignmerkmal der Jacke sind die beiden Seitenschlitze am hinteren Rücken unten. Diese sind ein Erbe der "Gehrock-Schlitzen" des neunzehnten Jahrhunderts, die die notwendige Flexibilität und Bequemlichkeit am Reiten ermöglichten. Heute sind diese Schlitze ein rein ästhetisches Element, die Dynamik and den Jackenschnitt verleihen, und es einfacher machen die Hände in den Hosentaschen zu bekommen. In der Körpersprache eine Hand in der Tasche zu haben, bedeutet, eine Trumpfkarte zu haben. Obwohl in der Geschäftswelt von Niemanden erwartet wird, ein Spiel-Betrüger zu sein, ist Einfallsreichtum eine höchstgeschätzte Gabe.
Hose: Eine pragmatische Haltung das Dilemma ihrer Länge zu lösen, ist immer die, den Spiegel entscheiden zu lassen. Eine Länge etwa kürzer als normal kann einen Hauch von persönlichen Stil fördern, indem sie kontrastreichen Strümpfe unter den "Arbeits-Ausrüstung" enthüllt.
Die Wichtigkeit nie zu ernst zu sein: um sich aus der Vielzahl der gut gekleideten Menschen abzuheben, erfordert die Fähigkeit, Persönlichkeit und Stil zu demonstrieren, mehr als nur das richtige Hemd auf dem rechten Anzug anzupassen. Es handelt sich um eine spielerische Haltung mit der Mode, die führt, gewagte Details auszuwählen, und sogar "bewusst" Stilbrüche zu begehen. Immer für eine Überraschung gut zu sein ist grundsätzlich interessanter als die Langeweile der Vorhersehbarkeit.
Das ist die Philosophie der Schneider von Saville Raw in London, die seit 200 Jahre wahre Meister in der Erneuerung des Business-Anzugs sind.